Trauerbewältigung
Verfasst von: Redaktion
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Eine individuelle Herausforderung für jeden Betroffenen
Wer die Nachricht erhält, dass ein nahestehender Mensch gestorben ist, ist nie wirklich darauf vorbereitet. Die dabei entstehenden Emotionen sind meist durchaus mächtig, machen manchmal sogar Angst. Der Betroffene verliert eventuell den Boden unter den Füßen und der Schmerz ist unerträglich. Bis sich ein Trauernder wieder im seelischen Gleichgewicht befindet, kann viel Zeit vergehen, die ihm die Gesellschaft manchmal nicht zugesteht. Denn laut dieser soll man „funktionieren“ und sich einfach verhalten wie zuvor. Nicht selten ist Trauer ein Tabuthema und dabei sehr individuell zu handhaben, auch wenn gewisse Gesetzmäßigkeiten inzwischen erforscht sind.
Die Geschichte der Trauerforschung ist jung
Vielleicht wäre die Trauerbewältigung einfacher, wenn man mehr über sie wüsste und sie mehr in der Gesellschaft besprochen würde. Doch obwohl fast jeder mindestens einmal im Leben damit konfrontiert ist, gibt es erst seit knapp 25 Jahren eine systematische Forschung, die sich mit dem Thema und ihrer Auswirkungen auf die Psyche, das Leben und die Gesundheit des Betroffenen beschäftigt.
Viele Vorgänge, die mit Trauer und dem Verlust eines geliebten Menschen zusammen hängen, beruhen auf Erfahrungen oder Einschätzungen, es gibt kaum empirische Forschung oder Entwicklung dazu. Sigmund Freud meinte 1915, „dass Trauerarbeit intensiv nötig sei, denn es gehe darum, die Bindung zu einem geliebten Objekt völlig zu lösen, was für das seelische Wohl eine Gefahr darstellen kann“. Wer gar nicht offensichtlich trauert oder diesen Seelenzustand verdrängt, tut sich und seiner Seele also nichts Gutes.
In den siebziger Jahren kam die Vorstellung auf, dass Trauer immer in gleichen Phasen bei jedem Menschen verlaufen würde. Die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat diese Stadien bei Sterbenden entdeckt und sie quasi eins zu eins auf die Hinterbliebenen übertragen. Diese vier Phasen sind im Wesentlichen folgende:
- Man will den Tod nicht wahr haben
- Emotionen brechen durch
- Akzeptanz der Realität
- Rückkehr ins Leben
Dieses Konzept ist mittlerweile populär, weil es verhältnismäßig eingängig ist und die Vorstellung eines gesetzmäßigen Ablaufs hat. Doch klar ist auch, dass damit viele Trauernde unter Druck gesetzt werden. Denn Trauer ist etwas sehr Persönliches, womit es auf der Hand liegt, dass jeder dieses Gefühl anders auslebt. Wichtige Kriterien dazu sind unter anderem:
Zu beachten ist, dass jeder Mensch eine stark schwankende Intensität seiner Trauer erlebt. Im Wesentlichen verlaufen die Phasen der Trauerbewältigung wie sie gemeinhin von der Gesellschaft erlebt und quasi vorgegeben wird wie folgt.
Phase 1: Das Leugnen
Meistens ist die erste Reaktion auf eine Todesnachricht Fassungslosigkeit. Keiner will wahr haben, dass das Unvermeidliche tatsächlich eingetreten ist. Dieser erste Schock versetzt den Betroffenen in Trance, was einem Selbstschutz gleichkommt. Es vergeht unterschiedlich viel Zeit, bis man erkennt, dass die Realität stärker ist als das Leugnen des Todes.
Phase 2: Emotionen brechen auf
Ist der erste Schock vorbei, brechen die Gefühle beim Trauernden auf. Dabei entsteht das Gefühl, man habe keine Kontrolle mehr über seine Emotionen. Wut, Angst oder aber auch Verzweiflung und die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Lebens stellen das Bewusstsein des Trauernden auf eine harte Probe. Manchmal fühlen sie auch ein Gefühl der Ungerechtigkeit, denn andere Menschen dürfen glücklich sein, während dies für einen selbst in Frage gestellt wird. Auch der Körper des Trauernden kommt häufig komplett aus dem Gleichgewicht, wobei die Auswirkungen unterschiedlich sein können.
- Starke Gefühlsschwankungen
- plötzliche Heulattacken
- Lethargie oder Rastlosigkeit
- Verweigerung der Nahrungsaufnahme oder maßloses Essen
- Trotzreaktionen auf Trauerbekundungen
- Symptome einer Depression
Phase 3: Neuorientierung
Während die Phase der Emotionen die schwierigste und meist auch die langwierigste in der Trauerbewältigung ist, geht es mit der Phase der Neuorientierung bereits wieder langsam bergauf. Denn nun findet der Trauernde Schritt für Schritt zurück in den Alltag. Man kann sich wieder an kleinen Dingen erfreuen und die Trauer schmerzt nicht mehr so stark wie zuvor. Klar ist aber, dass sie nach wie vor dauerhaft präsent ist und die Stimmungslage beherrscht. Auch der Körper kehrt langsam wieder zu seiner Normalfunktion zurück, wobei die Lethargie meist etwas nachlässt und sich auch das Essverhalten wieder einpendelt. Der eine oder andere Trauernde kann vielleicht in dieser Phase sogar schon wieder in die Zukunft sehen und Pläne machen.
Phase 4: Akzeptanz des Schicksals
Die letzte Phase der Trauerbewältigung liegt darin, dass man feststellt, mit dem Verlust umgehen zu können. Man meistert seinen Alltag wieder und ist aufgeschlossen für neue Herausforderungen und Aufgaben. Seele und Körper befinden sich wieder im Gleichgewicht, wobei natürlich wehmütige Gedanken an die Vergangenheit immer wieder auftauchen. Es ist im Bewusstsein angekommen, dass der Verstorbene nie ersetzt oder vergessen werden kann, das Leben jedoch weiter geht
Wann die Trauerbewältigung durchgestanden ist, lässt sich übrigens kaum im Vorfeld festmachen. Laut eines Fachbeitrags auf Ergo Direkt kann die Trauerarbeit demnach durchaus einige Monate in Anspruch nehmen, bei anderen aber sogar Jahrzehnte andauern. Gerade deshalb sollten Betroffene nicht davor zurückschrecken, ihre Gefühle zuzulassen und sich bei Bedarf auch professionelle Hilfe zu suchen, damit über kurz oder lang wieder zurück in ein normales Leben gefunden werden kann.
Wann ist Trauer noch normal?
Auch wenn jeder seine Trauerphasen individuell und unterschiedlich erlebt, ist festzustellen, dass der Schmerz meist nach einer gewissen Zeit in seiner Intensität nachlässt. Doch bei bis zu 15 Prozent der Betroffenen in der Schweiz ist das nicht der Fall. Da heilt die Zeit keine Wunden und der Schmerz bleibt über lange Zeit, manchmal sogar Jahre, gleich intensiv wie am ersten Tag. Psychologen sprechen in diesem Zusammenhang von einer verlängerten Trauer.
Der Unterschied zwischen „normaler“ und krankhafter Trauer ist dabei selbst für Experten schwer zu finden. Denn erst nach mindestens einem halben Jahr lassen sich die Symptome der verlängerten Trauer tatsächlich feststellen. Laut Professor Hans Jörg Znoj von der Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Bern sprechen die wenigsten Betroffenen über ihre Ängste und Probleme offen. Sie verdrängen sie lieber mit Schlaftabletten oder Alkohol, um wenigstens während der Nacht vergessen zu können. Damit beginnt ein Teufelskreis, der nicht selten in einer ernsthaften Erkrankung endet. Der Experte meint dazu, „dass die komplizierte Trauer häufig erst dann festgestellt wird, wenn bereits andere psychische Erkrankungen das Leben des Betroffenen stark beeinträchtigen.“ (Quelle) Gemeint sind damit häufig:
- Angst- und Panikstörungen
- Suchterkrankungen
- Depressionen
Vor allem nach dem Tod des Partners kommt es häufig vor, dass der Witwer oder die Witwe innerhalb kürzester Zeit selbst erkranken oder sogar versterben. Man spricht in diesem Zusammenhang vom sogenannten Widowhood-Effekt, von dem andere Hinterbliebene verschont bleiben. Wissenschaftler der Medizinischen Hochschule Hannover haben in Kooperation mit der Uniklinik Ulm und der University of Arizona untersucht, inwiefern Gene eines Menschen die Trauerarbeit beeinflussen oder sogar steuern können.
Dabei sind sie davon ausgegangen, dass zum Verständnis des Widowhood-Effekts die Reaktion des Immunsystems auf individuellen Stress der Schlüssel sein könnte. Denn psychischer Stress – wie etwa vor einer Prüfung oder beim Halten einer Rede vor Publikum – führt normalerweise zu einem kurzfristigen Ansteigen bestimmter Marker im Blut, die auf Entzündungen im menschlichen Körper hinweisen können. Wer länger unter Stress leidet, weist eine dauerhafte Erhöhung dieser Entzündungswerte auf, die unter anderem schwerwiegende Erkrankungen wie
- Arteriosklerose
- Herzinfarkt
- Schlaganfall
auslösen können. An der genannten Studie nahmen insgesamt 64 Menschen, die durchschnittlich 73 Jahre alt waren, teil. 36 von ihnen hatten in den vergangenen beiden Jahren ihren Partner durch den Tod verloren. Das Ergebnis war eindeutig und konnte in der Erforschung dieser Marker im Blut weiter betrieben werden. Damit ist klar, dass langfristige Trauer nicht nur die Psyche beeinträchtigt, sondern auch auf den menschlichen Organismus selbst dauerhafte schädigende Wirkung haben kann. Mehr zur Studie ist unter report-psychologie.de nachzulesen.
Mit Trauer richtig umgehen
Auch wenn viele, die gerade einen nahen Menschen verloren haben, am liebsten alleine mit sich und ihrer Trauer sein möchten, ist Handlungsbedarf von ihrer Seite und dem Umfeld notwendig. Damit kein gesundheitliches Risiko entsteht, sollte der Stresspegel in Zusammenhang mit der Trauer möglichst rasch gesenkt werden. Um Schicksalsschläge gut zu verarbeiten, kann professionelle Hilfe durch Selbsthilfegruppen, Seelsorger und Psychologen helfen. Manchmal reicht aber auch die Nähe von Verwandten und Freunden, die für den oder die Verwitwete da sind und mit Gesprächen zur Seite stehen bzw. für Ablenkung sorgen.
Wichtig für die Trauerarbeit ist eine würdige Verabschiedung des Verstorbenen durch eine angemessene Trauerfeier. Für viele Betroffene hilft auch das Grab in der Nähe des Wohnortes, an dem sie jeden Tag dem geliebten Menschen nahe sein können. Doch es gibt auch die Gegenvariante. Ergibt sich die Gelegenheit eines Grabes in der Umgebung des eigenen Wohnortes nicht, kann dies sogar positive Wirkungen haben, indem man tatsächliche Distanz schafft. Der Verstorbene gerät ja deswegen nicht in Vergessenheit, sondern kann in einer eigenen Erinnerungsecke im Zuhause mit Fotos und einer Kerze, die man regelmäßig in Gedenken anzündet, bedacht werden.
Trauerbegleitung am Arbeitsplatz
Wer gerade einen geliebten oder nahestehenden Menschen verloren hat, muss sich selbst wiederfinden. Dies wird von einer Phase, in der derjenige einfach funktioniert, überdauert. Damit ist auch klar, dass der Trauernde oft für längere Zeit am Arbeitsplatz nicht so funktioniert, wie man es von ihm gewohnt ist oder wie man es von ihm erwartet. Trauer ist zwar keine Krankheit, doch die Folgen davon können ein Arbeitsverhältnis deutlich belasten, zum Beispiel durch
- emotionale Reaktionen, wie Weinen, Aggression, Passivität
- häufige Krankschreibungen
- Verspätungen
- Unkonzentriertheit und vermehrte Fehler bei der Arbeit
Kollegen und Vorgesetzte sollten viel Verständnis, Rücksichtnahme und Geduld aufbringen, um dem Betroffenen den Wiedereinstieg ins normale Leben zu ermöglichen und ihn bestmöglich zu unterstützen. Immerhin ist zur Trauer ein eventueller Jobverlust etwas, das man niemandem antun möchte. Denn dass gerade diese Phase im Leben eines Menschen eine der schwierigsten ist, ist wohl für alle verständlich.
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